Nun ist der Bericht der Krebstagung 2009 erschienen:
Sind elektromagnetische Felder krebserregend? Antwortensuche an der Krebstagung 2009
Elektromagnetische Felder sind in unserem Alltag allgegenwärtig: Handys, Mobilfunkantennen, Hochspannungsleitungen, aber auch Haushaltsgeräte oder Sparlampen sind Verursacher des sogenannten Elektrosmogs. Wie gefährlich ist diese Strahlung für unsere Gesundheit? Verursachen sie gar Hirntumore oder Leukämie bei Kindern? Den Ängsten der Bevölkerung stehen heute die Ergebnisse einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien gegenüber. Trotz zum Teil unklaren Forschungsresultaten und vielen offenen Fragen, konnte an der Krebstagung 2009 ein vorsichtiges Fazit gezogen werden.
Moderator Beat Glogger im Gespräch mit Norbert Leitgeb der TU Graz
© KLSDie Frage, ob elektromagnetische Felder (EMF) der Gesundheit schaden, wird seit Jahren regelmässig debattiert. Gemäss einer Umfrage des Bundesamts für Umwelt von 2005 machen sich 53% der Schweizer Bevölkerung Sorgen um ihre Gesundheit wegen sogenanntem Elektrosmog. Was weiss die Wissenschaft heute, was (noch) nicht? Dieser Ausgangslage stellte sich die diesjährige Krebstagung zum Thema «Elektromagnetische Felder und Gesundheit: zwischen Ängsten und Wissen», die am 12. Februar 2009 in Bern stattgefunden hat. Rund 150 Fachleute und Interessierte sind der Einladung der Krebsliga Schweiz gefolgt, die den Anlass in Zusammenarbeit mit der Forschungsstiftung Mobilkommunikation organisiert hat.
Von Korrelation zu Kausalität
Im Bereich EMF sucht die Epidemiologie nach statistisch signifikanten Zusammenhängen zwischen der Exposition von Menschen mit nichtionisierender Strahlung und vermuteten gesundheitsschädigenden Auswirkungen. Wie Joachim Schüz vom Institut für Krebsepidemiologie der Dänischen Krebsgesellschaft erläuterte, ist bei epidemiologischen Untersuchungen nicht nur bei der Interpretation der Daten, sondern bereits bei der Wahl der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer Vorsicht geboten. In einer Studie von 2006 konnte kein gesicherter Zusammenhang zwischen der Handynutzung und dem Risiko, an Hirntumoren oder Leukämie zu erkranken, nachgewiesen werden. Schüz beobachtete aber, dass der Mobiltelefongebrauch bei Männern das Lungenkrebsrisiko reduziert. Bei genauerem Hinsehen offenbarte sich der eigentliche Grund für den unerwarteten Befund: Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Studienteilnehmenden über ein überdurchschnittliches Einkommen und einen guten Bildungsstand verfügen – Menschen also, die bekanntlich weniger rauchen.
Noch schwieriger gestaltet sich die Situation für die Biologie, die nach kausalen Erklärungen für beobachtete statistische Zusammenhänge sucht. Wie schwierig diese Aufgabe ist, demonstrierte Primo Schär vom Departement Biomedizin der Universität Basel am Beispiel Krebs: «Krebszellen entwickeln sich nur langsam durch fortschreitende genetische Mutationen aus gesunden Körperzellen – häufig über Jahre bis Jahrzehnte». Schär fand eine erhöhte Anzahl DNA-Strangbrüche bei Zellen, die einem regelmässig an- bzw. abgeschalteten EMF-Feld ausgesetzt wurden im Vergleich zu nicht exponierten Zellkulturen. Eine direkte Schädigung der DNA durch EMF liess sich in seinen Experimenten nicht nachweisen. Dies spreche für einen indirekten Einfluss von EMF, beispielsweise via zelluläre DNA-Replikations- oder -Reparaturmechanismen. Ob dies zu Krebs führt, lässt sich möglicherweise erst 20 Jahre später beantworten.
Viele Antworten und noch mehr Fragen
Diesen Schwierigkeiten zum Trotz hat die Forschung in den letzten Jahren eine Fülle fundierter wissenschaftlicher Antworten zum potenziellen Zusammenhang zwischen EMF und Gesundheit geliefert. Untersucht wurden unterschiedliche Quellen, Expositionen und Strahlungsarten sowie Krankheiten und Symptome. Heute liegt der Forschungsfokus primär auf jenen Situationen, in denen die Belastung am grössten ist.
Martin Röösli vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel befasste sich in seiner Präsentation mit hochfrequenten EMF, die von Handys, Schurlostelefonen, W-LAN sowie TV- und Radiosender ausgehen. «Die Mehrheit der aktuellen Forschungsarbeiten zeigt, dass negative Gesundheitseffekte durch hochfrequente EMF sowohl akut wie chronisch kaum wahrscheinlich sind», fasste er die Resultate von rund zwei Dutzend Studien zusammen. In mehreren Arbeiten konnten die Symptome der Studienteilnehmer gar auf Nocebo-Effekte zurückgeführt werden. Sie beruhten also nicht auf der EMF-Exposition, sondern auf der Erwartungshaltung der Probanden.
Norbert Leitgeb vom Institut für Health Care Engineering der Technischen Universität Graz lieferte eine Gesamtschau der Ergebnisse zahlreicher Publikationen zu niederfrequenten EMF. Das Spektrum alltäglicher Quellen reicht vom Haarföhn über den Fernseher bis hin zur Bohrmaschine oder dem Bügeleisen. Seine Bilanz: «Gesamthaft lassen sich bisher keine Hinweise für ein erhöhtes Krebsrisiko durch niederfrequente EMF unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte finden». Einzig bei Kinderleukämie gebe es Indizien für einen statistischen Zusammenhang zur Exposition mit EMF. Kausal erklären kann dies die Wissenschaft allerdings nicht.
Engagierte Voten aus dem Publikum prägten die Diskussion
© KLSDer Umgang mit der Unsicherheit
Wie Gesundheitsbehörden mit wissenschaftlicher Unsicherheit umgehen, erklärte Mirjana Moser vom Bundesamt für Gesundheit (BAG): «Grundsätzlich stehen uns zwei Instrumente zur Verfügung: Grenzwerte, falls Effekte auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden nachgewiesen sind und im Idealfall verstanden werden, sowie Vorsorgemassnahmen, wenn Effekte bloss vermutet werden oder die Datenlage ungewiss ist». Forschungsbedarf ortete Moser insbesondere bei mittleren Frequenzen, die beispielsweise von Induktionskochherden oder Sparlampen ausgehen.
Die Optik des Bundesamts für Umwelt (BAFU) legte Jürg Baumann dar. Er pries das Schweizer Vorsorgeprinzip als pragmatische Antwort auf die wissenschaftliche Ungewissheit. Und warnte vor übertriebenen Forderungen: «Vorsorgemassnahmen dürfen nur soweit gehen, als sie möglich und zumutbar sind. Das Umweltschutzgesetz verbietet die Verhinderung einer Technologie allein aus Gründen der Vorsorge.» Wichtig sei die Strahlung mit technischen und betrieblichen Möglichkeiten zu verringern und unnötige Belastungen zu vermeiden.
Eine Frage der Optik und der Relation
Neue Aspekte brachte die Podiumsdiskussion auf den Tisch. Nationalrätin Yvonne Gilli und Bernhard Aufdereggen vom Verein Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz betrachten die Problematik aus der Warte praktizierender Ärzte. Sie vertraten Patientinnen und Patienten, die ihre Leiden glaubhaft mit dem Einfluss von EMF erklären. Eine Sicht, die jener der Wissenschaft oft diametral entgegensteht. Aufdereggen plädierte dafür, die rasante technologische Entwicklung, die der Wissenschaft permanent vorauseilt, nicht ungebremst auf die Bevölkerung loszulassen.
Ständerätin Christine Egerszegi unterstrich die Bedeutung der Forschung. Nur wenn die Fakten bekannt seien, liessen sich sinnvolle Vorsorgemassnahmen treffen. Die Schaffung eines nationalen Krebsregisters sei unverzichtbar, um epidemiologische Studien durchführen und die Wirkung von Massnahmen evaluieren zu können. Michael Burkhardt, Vertreter der Telekommunikationsfirma Sunrise, sprach sich gegen die Forderung aus, die geltenden Anlagegrenzwerte weiter zu senken. Dies sei aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht mehr sinnvoll.
Franco Cavalli, Direktor des Onkologischen Instituts der italienischen Schweiz (IOSI), betonte nochmals, dass die heute vorliegende Evidenz für einen Zusammenhang zwischen EMF und Krebs nur schwach sei. Er votierte dafür, das Risiko von EMF in Relation zu anderen Faktoren wie Tabak, Ernährung, ionisierender Strahlung oder UV-Licht zu betrachten. Obwohl Unsicherheiten bestehen, ist die Datenlage heute bedeutend solider als vor wenigen Jahren. Weitere Ergebnisse sind abzuwarten. Die Wissenschaft bleibt dran. Die Krebsliga Schweiz auch.
Kurt Bodenmüller, Wissenschaftliches Sekretariat, Krebsliga Schweiz
Quelle:
http://www.krebsliga.ch/de/fachleute/fo ... /index.cfm
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