Hans-Peter Dürr: "Warum es ums Ganze geht"

Ajani
Beiträge: 42
Registriert: 2. September 2010 14:03

Hans-Peter Dürr: "Warum es ums Ganze geht"

Beitrag von Ajani » 2. März 2011 18:19

Der unten stehende Auszug aus dem Buch von Hans-Peter Dürr, „Warum es ums Ganze geht – Neues Denken für eine Welt im Umbruch“, erklärt m.M.n. einen Anteil dessen, warum (noch) nicht genug Menschen sich eingehender und verantwortungsbewusster mit den Gefahren der Mikrowellentechnik auseinandersetzen.

Hans-Peter Dürr fordert zudem die Übernahme der Verantwortung jedes einzelnen Wissenschaftlers für jeden seiner Schritte in der Forschung.

Buchrücken:
Was können wir wissen?
Was sollen wir tun?
Was dürfen wir hoffen?
Hans-Peter Dürr gibt neue Antworten auf alte Fragen. Er zeigt auf, dass die Verwerfungen unserer Zeit – ob Kriege, Klimawandel oder die Krise der Ökonomie – die fatalen Folgen alten Denkens und eines überkommenen Weltbilds sind. Ein Paradigmenwechsel steht an!
Die grundlegenden, revolutionären Ergebnisse der modernen Physik weisen den Weg in eine lebenswerte Zukunft, die geprägt ist von Vielfalt und Verbundenheit:
Vielfalt in Natur und Kultur, Verbundenheit der Menschen untereinander –und mit der Natur.
In diesem Buch fasst Hans-Peter Dürr, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg und träger des Alternativen Nobelpreises, sein Lebenswissen zusammen – das intellektuelle Vermächtnis eines der bedeutendsten Vordenker unserer Zeit.


Aus dem Buch:
S. 78 f.
Pflicht zur Mitnatürlichkeit

Unser Wissen ist heute in viele Einzeldisziplinen zerstückelt, die jeweils nur noch ein Fachmann übersehen und ‚verstehen’ kann. Wobei ‚verstehen’ meist nicht sehr viel mehr bedeutet, als dass dieser Fachmann mit seinem Gebiet mehr oder weniger vertraut ist, dass er sich darin, wie etwa in seiner Wohnung, bewegen und zurechtfinden kann.

Das Wissen in seiner Gesamtheit, wie es durch die Wissenschaften vermittelt wird, ist deshalb für den Einzelnen in diesem Sinne nicht mehr erfassbar und überschaubar. Wir fühlen uns trotz großer Anstrengung von den ständig wachsenden Anforderungen an unsere Anpassungsfähigkeit überfordert. Wir helfen uns in dieser Notlage, indem wir aufgeben, alles geistig durchdringen und verstehen zu wollen. Stattdessen bauen wir ‚schwarze Kästen’ in unserem Denken ein, die wir – ähnlich wie Autos, Fernseher und Waschmaschinen – einfach durch Knopfdruck und Heben bedienen, ohne ihre Wirkungsweise eigentlich zu verstehen.

In dieser uns überfordernden Situation laufen wir Gefahr, dass uns die Wirklichkeit auf die Existenz der vielen Werkzeuge und technischen Hilfsmittel reduziert erscheint, mit denen wir uns so reichlich umgeben haben. Unsere hochdifferenzierte und synergetisch zusammenwirkende natürliche Mitwelt erschließt sich für uns nur noch durch die Vermittlung einer von uns selbst geschaffenen, einfältigen, mechanistisch strukturierten und funktionierenden Teilwelt. Diese primitive Teilwelt verstellt uns den Blick auf die weit vielfältigere und differenziertere eigentliche Wirklichkeit und isoliert uns von ihr.

Wie soll es uns heute gelingen, aus der Einzelbetrachtung von vielen verschiedenen Disziplinen wieder zu einer Gesamtbetrachtung zu kommen, welche die Voraussetzung darstellt, Verantwortung überhaupt wahrnehmen und übernehmen zu können?
Was früher noch möglich war, wenn auch nur bei ganz außergewöhnlichen Begabungen, nämlich sich wenigstens noch einen groben Überblick über die wichtigsten Wissensinhalte anzueignen, ist mittlerweile auch für den gescheitesten Kopf bei der heutigen Faktenfülle gänzlich unerreichbar geworden. Bleibt uns also in dieser Zwangslage, in der sich unsere begrenzte Auffassungsgabe mit einem rasant steigenden Angebot an möglichem Wissen konfrontiert sieht, nur noch die bittere Wahl, uns mit einem immer spezieller werdenden Fachwissen begnügen zu müssen. Das trennt uns immer weiter von unseren Mitmenschen, isoliert uns als Individuen und verdammt uns letztlich zu einer umfassenden Sprachlosigkeit.
Wir sind zunehmend denen ausgeliefert, die uns vermitteln, sie wüssten, ‚wo es langgeht’, einfach weil sie mit der Sprache so virtuos jonglieren, dass wir ihnen einfach glauben müssen.

(…)
Ich habe in meiner Antwort im SPIEGEL, die wenige Wochen nach Markls Essay erschien, der von ihm propagierten ‚Pflicht zur Widernatürlichkeit’ eine ‚Pflicht zur Mitnatürlichkeit’ entgegengesetzt. Die von Markl und anderen Wissenschaftlern geforderte ‚Natur unter Menschenhand’ wird stets eine Illusion, wenn nicht gar eine gefährliche Anmaßung bleiben. Denn die Natur wird uns keine Sonderbehandlung gewähren, nur weil wir uns als ‚Krone der Schöpfung’ betrachten.
Selbstverständlich besitzen wir mit unserem Bewusstsein eine interessante und vielleicht liebenswerte Besonderheit. Ich fürchte aber, die Natur ist nicht eitel genug, um sich an den Menschen als einen Spiegel zu klammern, in dem allein sie ihre eigene Schönheit sehen kann. Sie wird den Menschen vielmehr – wie alle anderen Spezies vor ihm, die sich nicht erfolgreich ins kreative Plussummenspiel der Schöpfung einklinken konnten – einfach langfristig aus der Evolution entlassen.

(…)
Ausgerechnet die ökonomischen, sozialen und wissenschaftlichen Eliten, die für diese Fehlentwicklungen verantwortlich waren und sind, sollen in Zukunft die Biosphäre ‚managen’? Eine Biosphäre, von deren wundervollem Funktionieren wir nicht einmal ein Pikoprozent wirklich kennen? Ja, mehr noch, von der uns – in Kenntnis der durch die moderne Physik ausgewiesenen prinzipiellen Grenzen des Wissbaren – auch in Zukunft wohl vieles auf immer verborgen bleiben wird. Da wird von Protagonisten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wie Markl doch wahrlich die Katze zur Hüterin der Mäuse gemacht.

(…)
Kein Physiker, kein Biologe, Ökonom oder Chemiker ist mehr Experte für das Politische als alle übrigen nachdenklichen Staatsbürger."
Wer nicht fähig ist, über andern angetanes Unrecht zornig zu werden, der wird nicht für die Große Ordnung kämpfen können. (...) Bertolt Brecht