„Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beobachter

„Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Beobachter » 16. September 2023 21:53

Frei von Smartphone : Mein Leben ohne Äppärät
Unsere Autorin surft das Web wie ein Profi. Aber eine Welle reitet sie nicht mit – die des Smartphones. Damit ist sie nicht allein.

Ein Artikel von Katja Kullmann
16.9.2023, 17:06 Uhr

https://taz.de/Frei-von-Smartphone/!5957923/


Kostpröbchen gefällig?:

Ich sah und sehe überhaupt keinen Reiz darin, ständig das ganze Internet mit mir herumzutragen – was für eine Last! Ich wollte und will nicht twentyfourseven auf x Kanälen erreichbar sein – was für eine Qual!

Konzerne wie Meta errichten Algorithmen-gesteuerte Aufmerksamkeitsfallen, die die User möglichst lange bei der Stange halten sollen, so wie Burgerketten ihre Kundschaft mit Geschmacksverstärkern fesseln wollen.

Je mehr Apps die Leute sich herunterluden, desto trauriger und schlapper schienen sie zu werden.

Wie sie auf ihren Maschinchen rauf- und runterscrollen, jede und jeder für sich, mit hängenden Köpfen. Welke Tulpen sah ich – während die Tulpen mich nicht sahen.

„Digitale Eifersucht“, „Digitaler Burnout“, „Shit Storms“, „Hatespeech“: All diese Psycho-Phänomene tauchten erst mit dem Smartphone auf, und die Leute kamen bald kaum noch hinterher mit den Worterfindungen für all den Ärger, den sie sich in ihre Hosentaschen gesteckt hatten.

Fast ist es nun schon eine Staatsbürger:innenpflicht, sich einen Äppärät zu besorgen.

Will nicht, dass Algorithmen mir ständig einflüstern, was „gut für mich“ ist. Das wirkt auf mich wie eine Mischung aus Stalking und Bevormundung. In der Psychologie gibt es den Begriff der „Nachbeelterung“. So heißt eine Therapieform für Menschen, die in der Beziehung zu ihren Eltern zu kurz gekommen sind – und genau so wirken manche Smartphone People auf mich: als ob sie rund um die Uhr nach Betreuung hungern. Und nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung, alles wollen sie immer instantly haben. Ich weiß, dass die Smartphone People mich für kindisch halten. Dabei sind sie doch die ewigen Kinder.

... googele ich noch einmal „Digital Detox“ und stoße auf 37.800.000 Einträge.

Eva Weber
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Registriert: 30. Oktober 2009 21:03

Re: „Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Eva Weber » 17. September 2023 20:04

Beobachter hat geschrieben: Kostpröbchen gefällig?:
Ein Artikel von Katja Kullmann
16.9.2023, 17:06 Uhr
https://taz.de/Frei-von-Smartphone/!5957923/
"Das Schild flimmerte nicht und machte keinerlei Geräusch, man konnte sich nicht mit ihm unterhalten. Es befand sich auch kein QR-Code darauf. Es handelte sich um eine schlichte Schiefertafel, sie stand vor einem Lokal, jemand hatte mit Kreide drauf geschrieben: „Wir haben kein WLAN! Redet miteinander! Tut so, als wäre es 1995!“

Das wäre schön, dann könnten auch Menschen, die unter Funk leiden zumindest teilweise wieder am Leben teilnehmen. Wie schön wäre es wieder mal eine Zugreise zu machen, aber die Funkbelastung ist zu hoch. In etwa funkfreie Waggons wird es meines Erachtens nie geben. Kein Hotel ohne WLAN. Ganz im Gegenteil. Leider kann ich diesen Optimismus in Bezug auf weniger Smartphone-Nutzung sowie weniger WLAN nicht teilen. Smartphones machen süchtig und zwar dermaßen, dass jemand ohne Smartphonewischerei z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln direkt auffällt, und wahrscheinlich trägt er dieses dann eingeschaltet in der Tasche. Dann werden ihm alle Nachrichten, Apps trotzdem auf sein Phone gespielt. Das Wichtigste erscheint mir zu sein, jeden jederzeit an der Strippe zu haben. Vor Jahren war ich in einem Konzert, es war mein letztes. Während eines wunderschönen ruhigen Sibelius-Konzerts las ein Besucher, schräg vor mir sogar seine Mails oder sonst etwas. Sucht kann man zielstrebig fördern und das wird eifrig gemacht, angefangen bei Kindern. Wischen, wischen.

Wie schön war doch als Kind eine Schiefertafel zu haben, einen Griffel und einen Schwamm. Stundenlang konnte man zeichnen und schreiben, aber das war dann plötzlich altmodisch und überholt.
Ach, und schon schweife ich wieder ab.

Eva Weber

Beobachter

Re: „Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Beobachter » 18. September 2023 12:01

Wer soll nicht mehr präpäräppt sein dürfen?
Es werden auch Äpps für das "bessere Erlebnis" von Konzerten angeboten.
Auch das Berviergebet für katholische Priester gibt es auf der Äpp.

Beobachter

Re: „Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Beobachter » 18. September 2023 17:35

Etwas früher schon hat die freie Autorin Birte Müller, die sich aus persönlichen Gründen mit "abweichenden Lebensumständen" auskennt, einen Versuch der Relativierung geschrieben. ...

Unser digitalisiertes Leben: Widerstand ist nicht zwecklos!

Ein Großteil des Technikkrams, der helfen soll, bewirkt bei mir das Gegenteil. Hilfreich ist es dagegen, einfach mal das Handy aus der Hand zu legen.
https://taz.de/Unser-digitalisiertes-Leben/!5924873/

Auch hier Kostproben:
Wozu ich allerdings unterwegs ständig meinen Fahrplan, die Uhr, die Wetter-App und meine Mails öffne, weiß ich selber nicht. Wahrscheinlich, damit ich nicht sehen muss, dass wir alle wie die Borg bei Raumschiff Enterprise dasitzen, uns an unsere Smartphones klammern, die uns einzig deswegen nicht implantiert werden müssen, weil wir sie ohnehin freiwillig nie loslassen. Dann überkommt mich Handy-Scham.

Aber Widerstand ist nicht zwecklos! Ich stecke das Ding für ein paar Minuten weg und freue mich heimlich über die echte Welt, in der so viele verschiedene Menschen leben, sogar welche, die kein Smartphone haben.

Bis heute einziger Leserkommentar unter dem Artikel:
Xanyd 25. Apr, 23:19
Nicht nur aus der Hand legen, sondern auch einmal ausschalten!

Eva Weber
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Re: „Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Eva Weber » 18. September 2023 18:06

Leider habe ich nicht sehr zuversichtlich geschrieben, dass sich an der Situation irgendetwas in absehbarer Zeit ändern könnte. Einige wenige vernünftige Menschen, denen es einfach zu viel wird, stehen doch auch ziemlich einsam da. Es wird ja auch alles unternommen, die Menschen Tag und Nacht an diese Technik zu gewöhnen. Mögliche gesundheitliche Auswirkungen haben da keinen Platz. Wissenschaftler die etwas finden, müssen damit rechnen, dass sie ausgeschaltet werden. Ich denke nicht, dass sich hierbei - ich meine sogar in Jahrzehnten - irgendetwas ändert. Wenn in einer öffentlichen Veranstaltung von einem Mitarbeiter des Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) davon gesprochen wird, dass Elektrosensible Menschen von einem Geist verfolgt werden und das müsse man auch den Ärzten sagen, so ist doch die Sache klar. Priorität hat die Psyche und wer etwas auf künstliche, gepulste elektromagnetische Felder (Mobilfunk) zurückführt, wird eben in die psychische Ecke geschoben. Das funktioniert sehr gut, auch bei der Bevölkerung.

Wenn ich dann an die kommende digitale Patientenkarte denke, dann weiß man, was einem blüht, wenn man den Arzt wechselt oder auch nur zu einem anderen Arzt überwiesen wird.

Wenn man sieht, wie weltweit und im erdnahen Umfeld Funk ausgebaut wird, dann kann man sich nur noch wundern. Da können einem die Kinder nur noch leid tun, wenn dann der Großteil schon zum Kinderpsychologen geschickt wird. Und später leben sie von Tabletten. Kopfschmerz, Schlafmittel und Psychopharmaka.

Und nun etwas anderes, für mich nur noch unfassbar. Großer Probealarm in München und wieder hat der ganze Münchner Westen nichts davon mitbekommen. Selbst im Krieg, als schon fast alles kaputt war, haben Sirenen die Bevölkerung zuverlässig gewarnt. Heute muss jeder sein Handy parat haben, damit er vielleicht erfährt was los ist. T O L L !

Eva Weber

Beobachter

Re: „Ernüchterung gegenüber allgegenwärtigen digitalen Seinsformen“

Beitrag von Beobachter » 20. September 2023 18:10

High-Fidelity-Konsum und die klaustropolitische Struktur des Gefühls
https://journals.sagepub.com/doi/10.117 ... 1211062637
Quynh Hoang, James Cronin and Alex Skandalis 2021
Lancaster University Management School, UK

Zusammenfassung:
In diesem Beitrag wird Redheads Konzept des Klaustropolitanismus herangezogen, um die affektive Realität der Verbraucher im heutigen digitalen Zeitalter kritisch zu untersuchen. Im Kontext des Überwachungskapitalismus argumentieren wir, dass sich die Subjektivität der Verbraucher eher um die Erfahrung von Treue als von Handlungsfähigkeit dreht. Anstatt echte Autonomie in ihrem digitalen Leben zu erleben, sind die Verbraucher mit einem Gefühl der Begrenzung konfrontiert, das ihre stillschweigende Konformität mit den Verhaltensprognosen der überwachten Marktakteure widerspiegelt. Indem wir untersuchen, wie diese Enge gelebt und empfunden wird, theoretisieren wir die kollektiven Affekte, die eine klaustrophobische Gefühlsstruktur ausmachen: Unvollständigkeit, Sättigung und Entfremdung. Diese affektiven Konturen zeichnen eine beklemmende Atmosphäre nach, die das Leben der Verbraucher durchdringt, wenn sie versuchen, sich durch digitale, marktbezogene Verhaltensweisen zu verwirklichen, die von den Überwachungsakteuren weitgehend antizipiert und koordiniert werden. Anstatt zum Widerstand zu motivieren, tragen diese Affekte ironischerweise dazu bei, die Bindung der Verbraucher an die digitale Welt und ihre fortgesetzte Teilnahme am überwachten Markt aufrechtzuerhalten. Unsere Theorie setzt das kritische Projekt der Neubewertung des Verbrauchersubjekts fort, indem sie zeigt, wie Subjektivität an der Schnittstelle zwischen ideologischen Imperativen und affektiven Konsequenzen produziert wird.

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