Ist die IARC-Einstufung 2B „zu hoch“? Sicher nicht!

Pirat

Ist die IARC-Einstufung 2B „zu hoch“? Sicher nicht!

Beitrag von Pirat » 21. Januar 2014 21:15

21.01.2014

Detailanalyse bezüglich der Diskussion über die IARC-Klassifizierung zur möglichen Krebsbildung durch Mobilfunkstrahlung:

Die Weiterleitung dieses Beitrages erfolgt mit ausdrücklicher Genehmigung der Verfasserin.
Quelle: ElektrosmogReport Ausgabe Nr.1/Januar 201

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Mobilfunk, Hirntumore und Politik
Ist die IARC-Einstufung 2B „zu hoch“? Sicher nicht!


Die IARC-Klassifizierung 2B im Mai 2011, wonach Mobilfunkstrahlung möglicherweise Krebs auslösen kann, wurde von 4 Autoren, die der IARC-Arbeitsgruppe angehört hatten, in Zweifel gezogen aufgrund neuer Erkenntnisse. Ist Mobilfunk nicht mehr in Verdacht? Die Erkenntnisse der Autoren sind erstaunlich, da wichtige neue Ergebnisse, die das Gegenteil anzeigen, nicht berücksichtigt wurden.
Der Kommentar der 4 Autoren (Samet JM, Straif K, Schüz J, Saracci R (2014): Mobile Phones and Cancer. Next Steps After the 2011 IARC Review. Epidemiology 25 (1), 22–27; www.epidem.com) basiert auf Veröffentlichungen, die nach Mai 2011 erschienen sind. Genannt werden Studien, die in Richtung Entwarnung gehen, nicht erwähnt werden besorgniserregende Ergebnisse der Hardell-Arbeitsgruppe (s. S. 1 und ElektrosmogReport 11/13, S. 1–3) aus 2013, die eine Klassifizierung eher „nach oben“ rechtfertigen würden, keinesfalls nach unten. Die „schwachen Beweise für Kanzerogenität“ basierten damals auf den epidemiologischen Studien der Hardell-Arbeitsgruppe und der Interphone-Studie. Argumentiert wird nun u. a. mit 2 Studien, die weltweit von unabhängigen Wissenschaftlern als unzureichend beurteilt wurden (z. B. die Dänische Kohorten- und die „Million Women-Studie“), während die neuen Studien von der Hardell-Arbeitsgruppe nicht erwähnt werden. Die „derzeitigen Beweise“ nach Durchsuchen der Literatur bis Mai 2011, angefangen in den 1990er Jahren, seien: 900 Studien enthielten z. T. wenig Informationen, es gäbe keine Mechanismen, daher nutze man Epidemiologie. Man urteilt, „Interphone war sorgfältig durchgeführt“, aber mit Unwägbarkeiten. Seit Mai 2011 wären weitere relevante Arbeiten veröffentlicht worden, aber nur die „passenden“ werden aufgeführt (s. o.). Trotzdem seien weitere Studien zur Vorsorge gerechtfertigt. Die Programme über die hauptsächlichen Ungewissheiten sollte man absprechen. Man brauche verfeinerte epidemiologische Studien, längere Zeiträume, Daten darüber, wo der Hirntumor sitzt, und Neubewertungen der Fall-Kontroll-Studien. Bei Tierversuchen sollte man noch abwarten, bis die USA ihr Programm abgeschlossen haben. Nötig sei, die Bevölkerung gut verständlich zu informieren. Bemerkenswert: Eine neue Trendanalyse zeige Unstimmigkeiten bei den Hardell-, aber nicht bei den Interphone-Berechnungen!
Auf der Internetseite der Australischen Mobilfunkindustrie (AMTA) erschien im August 2013 ein Text, in dem Prof. Michael Repacholi zitiert wird (ein Industrie-nahes früheres Mitglied des EMF-Projektes der WHO) zu Gesundheit und Sicherheit des Mobilfunks mit der Aussage, die IARC-Einstufung sei falsch, da die Festlegung auf wissenschaftlichen epidemiologischen Studien beruhe, deren Ergebnisse zweifelhaft seien. Man solle Tierexperimente heranziehen, die seien verlässlicher (http://www.amta.org.au/newsletters/ EME.Update.August.2013?Article=40141). (Repacholi hatte früher in eigenen Experimenten erhöhte Krebsraten durch Mobilfunkstrahlung bei Mäusen festgestellt, die Red.). Repacholi äußerte sich in Mumbai, Indien, am 03.12.2013 laut The Times of India so: Es gäbe kein Krebsrisiko und auch keine Kopfschmerzen, Übelkeit und Schlafstörungen. Besorgte Bürger in Mumbai möchten, dass die Mobilfunkstrahlung gesenkt wird, weil sie diese Aussagen nicht glauben (http://articles.timesofindia.indiatimes ... 03/mumbai/ 44709...).
Prof. Dariusz Leszczynski, ein unabhängiger Wissenschaftler, der seit langem vor den Gesundheitsgefahren durch Mobilfunk warnt, nimmt in seinen Kolumnen immer wieder Stellung zur wissenschaftlichen und politischen Situation (http://betweenrockandhardplace.wordpress.com/). Hier ein paar Beispiele seiner Berichterstattung. Er war zum Runden Tisch zum Thema Mobilfunk und Gesundheit der Experten in San Francisco (im Commonwealth Club) am 09.12.2013 eingeladen, konnte aber nicht selbst kommen und hat eine 7-seitige Powerpoint-Präsentation hingeschickt, die auch auf seiner Internetseite zu sehen ist. In den Schlussfolgerungen sagt er: Die IARC-Einstufung der Mobilfunkstrahlung als Karzinogen ist ein ausreichender Grund, sich auf das Vorsorgeprinzip zu berufen. Die derzeitigen Sicherheitsstandards sind unzureichend, weil Mobilfunktelefone das Hirntumorrisiko steigern. Die Nutzer, vor allem Kinder, sollten die Feldbelastung zu begrenzen und die Forschung sollte weiter untersuchen, wie der menschliche Körper auf Mobilfunkstrahlung reagiert.
Am 19.11.2013 schreibt Prof. Dariusz Leszczynski, dass es verwirrende Aussagen gibt zu den Begriffen „mögliche Kanzerogenität“ und „gewisse Toxizität“ von Mobilfunkstrahlung (ebenso für Kaffee und DDT). Sowohl Mahner als auch Verharmloser in Sachen Mobilfunkstrahlung können nicht unterscheiden zwischen Krebs erregenden und toxischen Wirkungen möglicher Karzinogene (Kategorie 2B der IARC). Sofort nach der Bekanntmachung begannen 2 widersprüchliche Medienkampagnen. Die eine vertritt die Verharmloser mit der Aussage, die Grenzwerte decken alles ab, die andere sah die Menschheit gefährdet durch das epidemische Ausbreiten von Hirntumoren. Beides ist falsch, sagt Prof. Leszczynski, weil es für beides keine wissenschaftlichen Beweise gäbe. Aber: die Grenzwerte reichen als Schutz nicht aus, denn Vielnutzer des Mobiltelefons (> 10 Jahre 30 Minuten/Tag) haben ein erhöhtes Hirntumorrisiko. Das bedeutet logischerweise, dass die Grenzwerte nicht angemessen sind, wenn „sichere Geräte“ einen Anstieg des Krebsrisikos verursachen. Die Mahner liegen falsch, weil die Zuverlässigkeit der epidemiologischen Forschung fraglich ist. Das ist einer der Gründe, warum die Einstufung „möglicherweise Krebs erregend“ lautet und nicht „wahrscheinlich Krebs erregend“. Die Unterscheidung möglicherweise und wahrscheinlich ist wichtig. Ebenso wie nicht jeder Raucher Lungenkrebs bekommt, wird wahrscheinlich nicht jeder Vielnutzer einen Hirntumor bekommen. Andere Schadeinwirkungen in derselben Einstufungsklasse „möglicherweise Krebs erregend” sind Kaffee, eingelegtes Gemüse oder DDT. Die Verharmloser führen dies als Beispiel für Ungefährlichkeit an und die anderen meinen, zu viel Konsum von Kaffee und eingelegtem Gemüse kann zu Magenkrebs führen. Das führt die Öffentlichkeit in die Irre, denn ein Risiko durch Mobilfunkstrahlung kann bestehen, jedoch weiß niemand, wie hoch es ist.
Am 17. Oktober 2013 schreibt Prof. Leszczynski eine Kolumne zu dem Bericht der französischen Gesundheitsbehörde ANSES über Mobilfunk und Gesundheit vom 15. Oktober 2013, in dem steht, dass man keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen biologischen Wirkungen von Mobilfunkstrahlung und der menschlichen Gesundheit gefunden habe. Aber man empfehle, dass Kinder und Vielnutzer (40 Minuten/Tag) Mobilfunkgespräche begrenzen sollten. Die Industrie berufe sich mit ihrer Aussage, Mobilfunk ist sicher, auf die ICNIRP, einen „privaten Club“, der seine Mitglieder unter Leuten auswählt, die alle gleicher Meinung sind. Was, wenn die ICNIRP falsch liegt? Merkwürdig sei auch, dass die meisten Mitglieder der IARC-Arbeitsgruppe der Einstufung 2B zugestimmt haben (28 von 30), und viele davon sind oder waren auch Mitglieder der ICNIRP. Leszczynskis rat: Die Telekommunikationsindustrie sollte nicht blind den ICNIRP-Aussagen folgen, denn die wissenschaftlichen Beweise zeigen, dass die gültigen Sicherheitsstandards nicht ausreichen, besonders nicht für empfindliche Personen wie Kinder, Schwangere, alte und kranke Personen. Sein Schlusssatz: Die Telekommunikations-Industrie solle aufwachen, bevor jemand ruft „Der König ist nackt“.
Am 1. Nov. schreibt Leszczynski unter “Conflicting” statements by the two experts of the Royal Society of Canada“ über 2 Kanadische Wissenschaftler, die in einer von der Industrie bezahlten Arbeit (einem Review, das ist eine theoretische Arbeit und keine experimentelle) keine Gefahren sehen. Sie sagen „spekulative Gesundheitsschäden“ durch Wi-Fi stellen keine Gefahren dar unterhalb der Grenzwerte (Foster, KR, Moulder JE (2013): Wi-Fi and Health: Review of current status of research. Health Physics 105 (6), 561–575). In der Arbeit wird angegeben, dass die Autoren keine Interessenskonflikte haben, was manche Fachzeitschriften immer von den Autoren wissen wollen. Interessenskonflikte bestehen z. B., wenn die Experimente von der Industrie ganz oder teilweise bezahlt wurden. Allerdings wird am Schluss der Arbeit aufgelistet, wer die Studie finanziert hatte: die Wi-Fi Alliance in Washington und die Belgische Vereinigung der Mobilfunkindustrie.
Ein Bericht vom 13.12.2013 hat den Titel “ Something Is Rotten in Denmark – Danish Cancer Society Plays Games with Brain Cancer Rates” (Etwas ist faul im Staate Dänemark – Dänische Krebsgesellschaft spielt Spielchen mit den Hirntumorraten). Der Kommentar ist in den Microwavenews erschienen, dem kritischen amerikanischen Online-Magazin von Louis Slesin, (http://microwavenews.com/news-center/so ... en-denmark). Es geht um den Umgang der Dänischen Krebsgesellschaft mit den Daten und der Auswertung der Dänischen Kohortenstudie, die einer Neubewertung (Update) unterzogen worden war. Die ursprünglichen, alarmierenden Ergebnisse mit einer Verdoppelung des Gliomrisikos in den letzten 10 Jahren werden heute anscheinend nicht mehr gern gesehen. Slesins Frage: Ist eine Verdopplung des Gliomrisikos bei Männern, das Hans Skovgaard Poulsen, Leiter der Neurologischen Onkologie der Universität Kopenhagen, zuerst errechnet hatte, korrekt oder nicht? Poulsen hatte das Ergebnis selbst als beängstigende Entwicklung bezeichnet. Und Christoffer Johansen, Wissenschaftler bei der Krebsgesellschaft, habe gesagt, er halte die Daten für wahr und verlässlich. Auch Joachim Schüz, der lange Mitarbeiter von Johansen war und jetzt bei der IARC ist, hielt die Ergebnisse für besorgniserregend, könne es aber nicht erklären. Dann war Ruhe, innerhalb von einem Jahr gab es auf Nachfrage von Slesin nichts Neues. Und jetzt, Anfang Dezember 2013, kommt der Kommentar von Samet (Universität Süd-Kalifornien) und Koautoren zur Entwarnung (s. o.). Samet war in 2011 der Vorsitzende der IARC-Arbeitsgruppe, die „möglicherweise Krebs erregend“ festlegte. Kurz danach wurde Samet von Präsident Obama in den Nationalen Krebsrat berufen. In dem neuen Kommentar steht nichts Neues außer dem Satz, es gebe keine erhöhte Gliomrate in den Nordischen Ländern, besonders nicht bei Männern im mittleren Alter, die das Mobiltelefon am häufigsten benutzen.
Um Klarheit zu erhalten, was es mit der neuen Sichtweise auf sich habe, fragte Slesin mehrmals bei den Autoren an, bekam aber keine oder ausweichende Antworten von allen Autoren. Lennart Hardell bemühte sich um Aufklärung bei Poulsen, bekam keinen Kontakt und somit keine Antwort. Auch von der Dänischen Krebsgesellschaft gab es keine Antwort. Dann schließlich, nach langem Mailen hin und her schrieb Johansen, dass Poulsen einen Fehler beim Bericht über die Berechnungen der Gliome gemacht habe, und auch in der Pressemitteilung sei etwas durcheinander geraten. Auf die wiederholte Frage, ob die Verdoppelung der Gliome nun stimmt oder nicht, gab es keine Antwort von Johansen.
Slesin schreibt weiter: Ein IT-Spezialist und EMF-Aktivist in Kopenhagen, Henrik Eiriksson, der Mobilfunkopfern mit ihrer Internetseite hilft, hatte mehr Glück und sprach mit einer Wissenschaftlerin von Poulsens Labor. Sie sagte, man diskutiere zwei Hypothesen für die Zunahme der Gliome: Virusinfektionen und Mobilfunk, aber beides sei unwahrscheinlich; letzteres weil die Dänische Krebsgesellschaft das ausgeschlossen hätte (!). Die Dänische Krebsgesellschaft bezieht sich auf die Dänische Kohortenstudie, die weismachen will, Mobilfunknutzung berge kein Hirntumorrisiko, obwohl viele Wissenschaftler sagen, dass diese Studie mit so vielen Problemen behaftet ist, dass sie schlicht wertlos ist.
Zum Schluss fragte L. Slesin Mona Nilsson, eine Schwedische Journalistin, die sich seit langem mit dem Thema Mobilfunk und Gesundheit in den nordischen Ländern befasst, was in der Dänischen Krebsgesellschaft los sei. Sie sagte, dass „die nicht über die Inzidenz von Gliomen reden möchten.“ Sie denkt, da würde etwas verheimlicht. Frau Nilsson wies auf einen Bericht der Dänischen Gesundheitsbehörde SSI hin, in dem ein 30-prozentiger Anstieg an Tumoren des ZNS und des Hirns bei Dänischen Männern > 10 Jahre (2001–2011) gefunden wurde; bei Frauen waren es 25 %. Allerdings wurden gut- und bösartige Tumoren zusammen genommen und es wurden keine Unterteilungen in Untergruppen vorgenommen. So hat man keine Daten für Gliome, die häufigsten und aggressivsten der Tumore. Slesins ratlose Frage am Ende seines Berichts: „Wer kann zu dieser traurigen Geschichte sagen, was wirklich los ist? Das könnte der einzige Weg sein, der die Fäulnis säubern kann, die Dänemark befallen hat.“
Wie kommt es, dass unabhängige Wissenschaftler die Berechnungen von unabhängigen Wissenschaftlern für glaubwürdig halten, dagegen die von der Industrie bezahlten als fehlerhaft entlarven, während nicht unabhängige Autoren das genau umgekehrt sehen? Dazu ist zu sagen: Glaubwürdigkeit erlangt man auf verschiedenen Wegen. Wenn wirklich Fehler in den Berechnungen aufgetreten sind, wird man dies üblicherweise sofort als Berichtigung in derselben wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen, sobald der Fehler bekannt wird. Warum ist das bei der Dänischen Kohortenstudie nicht geschehen? Weil es keine Fehler gab, muss man schlussfolgern. Eine andere Strategie ist, unliebsame Ergebnisse nicht zu leugnen, sondern explizit auszuschließen, dass die schädlichen Auswirkungen von dem untersuchten Gegenstand herrühren bzw. verursacht wurden. Man kann sich die Häufung nicht erklären und vermutet obskure ungenannte andere Ursachen. Das ist z. B. gängige Praxis bei Untersuchungen zu Krebs im direkten Umkreis von Kernkraftwerken. Immer dann, wenn die Ergebnisse Politik und Industrie nicht passen, werden sie passend gemacht oder – oft absurd – für passend erklärt.
Die neue Diskussion um immer dieselbe ernste Sache, Hirntumore und Mobilfunk, zeigt einmal mehr, dass wissenschaftliche Daten je nach Zweck und Zugehörigkeit verwendet werden können, auf z. T. skrupellose Weise. Wer ist wohl, nach gesundem Menschenverstand, glaubwürdiger: Industrie, Politik und Industrie-nahe Wissenschaftler oder unabhängige Forscher? Es wird zum Ritual, Verharmlosungen auszusprechen, wobei sich Wissenschaftler und Träger von scheinbar unabhängigen Institutionen vor einen unsichtbaren Karren spannen lassen. Auch solche, die einst selbst Forschung betrieben haben und schädliche Einflüsse von elektromagnetischen Feldern gefunden hatten. Dass im Laufe der Zeit ein „Umdenken“ einsetzt, ist nicht selten. Die Frage ist, welche Ursache(n) das hat. Einstweilen bleibt es zur Vorsorge bei den Empfehlungen, die schon seit vielen Jahren gegeben werden: Strahlung minimieren. Da kommt es gerade recht, dass einige deutsche Institutionen kürzlich neue Infoblätter und Flyer herausgebracht haben, die uns Ratschläge an die Hand geben, wie man vorsichtshalber die Strahlung minimiert (s. u.). Es sind im Grunde nur kleine Gewohnheitsänderungen bzw. Bewusstmachung der Gesundheitsbeeinträchtigungen (auch „mögliches“ Hirntumorrisiko), die zur Vorsorge dienen können.

Quelle