Wer misst, misst Mist
oder: 15 Minuten Gratis-Werbung für WLAN im Klassenzimmer
Ich habe die Sendung (
http://www.srf.ch/player/tv/einstein/vi ... f7ec13b547 ) nochmals genau angeschaut und die präsentierten Messwerte aufgeschrieben und verglichen:
1. Messwert: Zürich, Dach SRF: 1,499 V/m
Dazu erklären "einstein"-Müller und Messtechniker Peter Wüthrich sofort, dass das weit unter dem geltenden Grenzwert von 5 V/m "für Orte mit empfindlicher Nutzung" liege. Auf der nachträglich eingeblendeten Graphik liegt dieser Wert noch klar im "grünen" Bereich, was - zuammen mit der Messgerät-Optik - suggeriert, 1,5 V/m seien völlig harmlos - was natürlich nicht stimmt.
2. Messwert: Zürich, Quaibrücke: 1,298 V/m
3. Messwert: Zürich ???-Strasse: 1,938 V/m
4. Messwert: ZH Opernhaus, Streetparade: 1,4 V/m (2010)
(Angaben Abt. für Lufthygiene) 0,7 V/m (2012)
Die Halbierung binnen zweier Jahre wird mit der wachsenden Anzahl Antennen und immer kleineren Funkzellen "erklärt".
5. "Messwert": Schulhausplatz Dietikon:
k.A.
Keine Zahl, dazu wahrscheinlich ein Archivbild aus der Abt. für Lufthygiene des Kantons Zürich und die Aussage:
"Die Messung war auch dieses Jahr wieder sehr deutlich unter dem Grenzwert"
6. Messwert: Handy Tobias Müller: 0,72 V/m
dito abgeschirmt: 5,6 V/m
7. Messwert: altes Handy von T. Müller: 129 V/m und 160 V/m
8. Messwert: in der S-Bahn: 2,8 V/m
9. Messwert: im IC-Waggon (Repeater!): 0,2-0,3 V/m
10. Messwert: Public WLAN St. Gallen
Roter Platz, ca. 200 Hot Spots: 0,8 V/m
11. Messwert: WLAN Klassenzimmer
"Buebeflade" St. Gallen: 0,28 V/m
Tiefster oder nahzu tiefster Messwert in der ganzen Sendung!
(vgl. IC-Waggon)
gleiches Klassenzimmer, aber alle
Schüler tätigen Anruf auf ihrem Handy: 1,9 V/m
13. Messwert: Wil, Arztpraxis Yvonne Gilli,
Nationalrätin, WLAN: 0,3 V/m
14. Draussen im Walde: 0,4 V/m
Die
(Werbe-)Botschaft lautet: WLAN im Klassenzimmer ist harmlos im Vergleich zum Handy, das eh schon jeder Schüler hat. Oder wie es Tobias "einstein" Müller ausdrückt:
"Jetzt haben aber unsere Stichproben-Messungen und vor allem auch Studien gezeigt, dass die WLAN-Strahlungswerte bei einem öffentlichen WLAN eigentlich absolut vernachlässigbar sind, wenn man vergleicht, dass das Hauptproblem die Geräte sind, die wir auf uns tragen, also ein Handy am Ohr beispielsweise!"
Die präsentierten Zahlen sollen diese Behauptung untermauern.
Dagegen gibt es einiges einzuwenden:
1. Das WLAN-Signal von den meisten sog. ES übereinstimmend als die aggressivste von allen Funkstrahlungen empfunden. Das ist auch meine persönliche Erfahrung. Die Feldstärke allein sagt darüber nichts aus! Die Pulsfrequenz ist entscheidend.
2. Hätten die Autoren in einer Schule der Stadt Zürich gemessen, wären wahrscheinlich viel weniger salonfähige Werte herausgekommen.
Bis im letzten Herbst war ich Mitglied eines Musikvereins, der in einem
städtischen Schulhaus probt. Nachdem aber WLAN in der ganzen Schule installiert wurde, musste ich den Verein leider verlassen, weil ich es schlicht nicht mehr aushielt. In fast allen anderen öffentlichen Gebäuden mit WLAN halte ich es für 1-3 Stunden aus (Cafés, Restaurants, ETH, Mutter im Spital besuchen...).
funkstrahlung.ch hat sich der Stadtzürcher Schule "Am Wasser" angenommen und Erstaunliches festgestellt:
In der Broschüre für Eltern und Lehrer werden Tipps zum Umgang mit WLAN gegeben, z.B.: „Schalten Sie das WLAN nur ein, wenn Sie es brauchen.“ - Das ist ein sehr wichtiger Tipp. Die Lehrerin einer 5. Primarklasse meinte, sie brauche das Internet etwa 15 Minuten pro Woche, eine andere Lehrerin braucht es eine halbe bis eine Stunde pro Tag. Wie oft surfen wohl die Kindergärtler im Netz? Leider kann der Tipp mit Ein-/Ausschalten nicht umgesetzt werden, da es an den WLAN-Accesspoints keinen Schalter gibt. Die Geräte laufen rund um die Uhr. Auf Anfrage erklärten die Behörden, abschalten sei nicht möglich, weil die Lehrerschaft angeblich auch ausserhalb der Schulzimmer WLAN-Zugriff wünsche.
Weiter wird im Flyer empfohlen: „Falls eine Leistungsregelung möglich ist, sollte beim Access Point die Sendeleistung entsprechend dem zu versorgenden Gebiet optimiert werden.“ Das wird an den Schulen kaum gemacht. Mit jedem Handy kann geprüft werden, welche Accesspoints wo empfangen werden. Eine Überprüfung unsererseits ergab bis zu sieben zu empfangbare WLAN-Accesspoints in einem einzigen Schulzimmer. Wenn die Sender gedrosselt wären, würde man den Sender des betreffenden Schulzimmers und allenfalls noch den vom Nachbarzimmer empfangen, nicht aber diejenigen des halben Schulhauses.
http://www.funkstrahlung.ch/de/componen ... dt-zuerich
Das passt alles zu meiner Erfahrung: Maximale Leistung rund um die Uhr statt minimaler Schädigung nur bei Bedarf. In der St. Galler Schule waren vermutlich Profis am Werk, in Zürich eher Dilettanten, unter der "Aufsicht" einer ahnungslosen Schulbehörde.
Ist das nun blosser Zufall, dass das Schweizer Farbfernsehen in St. Gallen auf eine WLAN-mässig - nach Zahlen wenigstens - präsentable Schule gestossen ist? Ich glaube kaum. Und wenn es doch Zufall war, wie glücklich müssen die Einsteins sein, dass sich die Zahlen so wundersam zu einem strikt "wissenschaftlichen" Werbespot fügen! Umfragen auf den Websites von
BAZ und
20 Minuten ergaben, dass 60-70% der Befragten gegen WLAN in der Schule sind. Bei der neueste Umfrage von
20 Minuten (
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/ ... --10168295 ) sagen 33% "auf keinen Fall" und 23% "erst wenn ausgeschlossen ist, dass WLAN negative Auswirkungen hat" gegen 34% bedingungslose Befürworter. Das Geschäft ist also noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Also muss "einstein" ran. Im Namen der Wissenschaft spielt er das Risiko WLAN aus gegen das Risiko Handy, nach dem eh schon die meisten Kinder süchtig sind. Es ist ein erschütterndes Bild, wie die Jungs im Klassenzimmer alle gleichzeitig telefonieren und dabei fast platzen vor Stolz: Ich komme im Fernseh! Mit meinem Handy!! Dass sie dazu benützt werden, um WLAN zu verharmlosen, das sie in den kommenden Jahren zusätzlich schädigen wird, werden sie schon bald kaum mehr begreifen.