von Beobachter » 1. Juli 2024 11:09
Politische Debatten
Gesellschaft als Kampfzone
Ein Gastbeitrag von Andreas Reckwitz
In sozialen Konflikten geht es zunehmend um Gewinner und Verlierer, um Täter und Opfer. Der politisch-kulturelle Grundkonsens des Westens ist in Gefahr.
28.06.2024, 13.00 Uhr
https://www.spiegel.de/kultur/debattenk ... 2ff2389561
Andreas Reckwitz, geboren 1970, ist Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
In der Gegenwart wird die Gesellschaft jedoch zunehmend zu einer Kampfzone. Zwei soziale Räume, in denen diese Kämpfe stattfinden, stechen ins Auge: Der politische Raum ist nicht zuletzt mit der rechtspopulistischen Welle in den meisten westlichen Ländern zu einem Ort heftiger Konfrontation geworden. Auch der digitale Raum mit der Affektkommunikation seiner sozialen Medien hat Teile der medialen Öffentlichkeit in ein Feld aggressiver Auseinandersetzungen verwandelt.
Der Populismus und die digitale Affektkommunikation sind allerdings nur Resonanzverstärker einer tieferliegenden Struktur und Entwicklung, die ihnen vorausgeht: Die spätmoderne Gesellschaft wird immer mehr zu einer Kampfzone, indem sie zu einem Ort endloser Konflikte zwischen Gewinnern und Verlierern sowie zwischen Tätern und Opfern wird.
In dieser Unerbittlichkeit ist es eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte.
Wie konnten die asymmetrischen Unterscheidungen in den letzten zehn Jahren so prägend werden? Und welche Folgen hat diese Entwicklung?
Wie der Soziologe Sighard Neckel feststellte, bestimmt die Konstellation von Gewinnern und Verlierern seit den Neunzigerjahren die gesellschaftliche Realität ...
Der Autor kommt auf einen Gesichtspunkt, der hier eingstreut werden soll, weil das auch auf dieses Forum passt, wenngleich er die Begriffe in einem anderen Kontext gebraucht:
»Strangers in Their Own Land« und
»Zeitalters des Zorns«
Besondere Brisanz erlangen die Gewinner-Verlierer-Konstellationen auf jenen Feldern, welche die Ökonomen als Winner-take-all- oder Winner-take-the-most-Märkte etikettieren: Märkte, auf denen einige wenige den Löwenanteil des Ertrags auf sich vereinigen, während die allermeisten nur geringe Belohnungen erhalten oder ganz leer ausgehen. Dies gilt für spezielle Märkte wie ein Wissenschaftssystem, in dem in Deutschland eine sehr große Zahl von Nachwuchswissenschaftlern um eine kleine Zahl von Professuren konkurriert.
Das Gefühl, in irgendeiner Weise zum Verlierer zu werden, kann verschiedene Konsequenzen haben. Psychologen diagnostizieren generell eine Aversion gegenüber Verlusten – der Schmerz über Verluste ist intensiver als die Freude über einen Gewinn. Die negativen Gefühle, die sich hier ausbilden, können von Trauer in Wut und Verbitterung umschlagen. An diesem Punkt verkoppelt sich die Gewinner-Verlierer-Konstellation zunehmend mit einem zweiten Deutungsmuster: dem zwischen Tätern und Opfern. Indem die Verlierer sich als Opfer wahrnehmen und die Gewinner entsprechend als Täter adressiert werden, heizen sich die Konflikte »wir gegen die« weiter an.
Die Gesellschaft wird ... zum Raum des sozialen Kampfes, bei dem es keine Kompromisse zu geben scheint.
Technologischer Totalitarismus ist kompromißlos.
[i]Politische Debatten
[b]Gesellschaft als Kampfzone[/b]
Ein Gastbeitrag von Andreas Reckwitz
In sozialen Konflikten geht es zunehmend um Gewinner und Verlierer, um Täter und Opfer. Der politisch-kulturelle Grundkonsens des Westens ist in Gefahr.
28.06.2024, 13.00 Uhr [/i]
https://www.spiegel.de/kultur/debattenkultur-warum-der-fokus-auf-gewinner-und-verlierer-eine-gefahr-ist-a-5aa11b9b-b9ea-4635-92b1-602ff2389561
[i]Andreas Reckwitz, geboren 1970, ist Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.[/i]
[i]In der Gegenwart wird die Gesellschaft jedoch zunehmend zu einer Kampfzone. Zwei soziale Räume, in denen diese Kämpfe stattfinden, stechen ins Auge: Der politische Raum ist nicht zuletzt mit der rechtspopulistischen Welle in den meisten westlichen Ländern zu einem Ort heftiger Konfrontation geworden. Auch der digitale Raum mit der Affektkommunikation seiner sozialen Medien hat Teile der medialen Öffentlichkeit in ein Feld aggressiver Auseinandersetzungen verwandelt. [/i]
[i]Der Populismus und die digitale Affektkommunikation sind allerdings nur Resonanzverstärker einer [b][color=#8000FF]tieferliegenden Struktur und Entwicklung[/color][/b], die ihnen vorausgeht: Die spätmoderne Gesellschaft wird immer mehr zu einer Kampfzone, indem sie zu einem Ort [b][color=#8000FF]endloser Konflikte zwischen Gewinnern und Verlierern sowie zwischen Tätern und Opfern [/color][/b]wird.[/i]
[i]In dieser Unerbittlichkeit ist es [b][color=#8000FF]eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte.[/color][/b][/i]
[i][b][color=#8000FF]Wie konnten die asymmetrischen Unterscheidungen in den letzten zehn Jahren so prägend werden? Und welche Folgen hat diese Entwicklung?[/color][/b][/i]
[i]Wie der Soziologe Sighard Neckel feststellte, bestimmt die Konstellation von Gewinnern und Verlierern [color=#8000FF][b]seit den Neunzigerjahren [/b][/color]die gesellschaftliche Realität ...[/i]
Der Autor kommt auf einen Gesichtspunkt, der hier eingstreut werden soll, weil das auch auf dieses Forum passt, wenngleich er die Begriffe in einem anderen Kontext gebraucht: [i][b][color=#BF00FF]»Strangers in Their Own Land«[/color][/b][/i] und [i][b][color=#BF00FF]»Zeitalters des Zorns« [/color][/b][/i]
[i]Besondere Brisanz erlangen die Gewinner-Verlierer-Konstellationen auf jenen Feldern, welche die Ökonomen als Winner-take-all- oder Winner-take-the-most-Märkte etikettieren: Märkte, auf denen einige wenige den Löwenanteil des Ertrags auf sich vereinigen, während die allermeisten nur geringe Belohnungen erhalten oder ganz leer ausgehen. [b][color=#8000FF]Dies gilt für spezielle Märkte wie ein Wissenschaftssystem, in dem in Deutschland eine sehr große Zahl von Nachwuchswissenschaftlern um eine kleine Zahl von Professuren konkurriert.[/color][/b][/i]
[i]Das Gefühl, in irgendeiner Weise zum Verlierer zu werden, kann verschiedene Konsequenzen haben. Psychologen diagnostizieren generell eine Aversion gegenüber Verlusten – der Schmerz über Verluste ist intensiver als die Freude über einen Gewinn. Die negativen Gefühle, die sich hier ausbilden, können von Trauer in Wut und Verbitterung umschlagen. An diesem Punkt verkoppelt sich die Gewinner-Verlierer-Konstellation zunehmend mit einem zweiten Deutungsmuster: dem zwischen Tätern und Opfern. Indem die Verlierer sich als Opfer wahrnehmen und die Gewinner entsprechend als Täter adressiert werden, heizen sich die Konflikte »wir gegen die« weiter an.[/i]
[i][b][color=#8000FF]Die Gesellschaft wird ... zum Raum des sozialen Kampfes, bei dem es keine Kompromisse zu geben scheint.[/color][/b][/i]
[color=#004000][b]Technologischer Totalitarismus ist kompromißlos. [/b][/color]