Blindwütiges Übersetzen

Wuff

Blindwütiges Übersetzen

Beitrag von Wuff » 27. März 2010 14:46

Kürzlich erschien ein Leserbrief zum Artikel http://www.nzz.ch/nachrichten/startseit ... 47130.html , in welchem sich ein Universitätsrektor o.ä. über fehlendes Sprachkönnen von Wissenschaftlern beklagte, aus dem nach ungenauer oder auch nach zu wörtlicher Übersetzung eines Textes jeweils ein neuer Text mit entstelltem Sinn entstehe.

Der Zufall will es, dass ich nur wenige Tage danach auf einen Anwendungsfall stosse, und zwar in http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=39091 .

Lerchls Übersetzung von Rüdigers/Adlkofers Text weist folgende Fehler und Ungenauigkeiten auf, die ich in Fettdruck korrigiert und mit Anmerkungen [kursiv und in eckigen Klammern] versehen habe:

„Die kleinen Variationen in den berichteten Daten sind unterhalb der theoretischen unteren [Wort wieder eingefügt, um das Lerchl gekürzt hat] Schranken und auch geringer als solche, die durch Simulationen gewonnen wurden. Korrekt, aber Lerchl et al. berücksichtigen nicht, dass alle [mikroskopischen (Anm.von Lerch)] Objektträger visuell ausgewertet wurden. Obwohl die Genauigkeit der [Wort wieder eingefügt, um das Lerchl gekürzt hat] visuellen Auswertung gleich gut oder sogar[Wort wieder eingefügt, um das Lerchl gekürzt hat] besser ist als die mit Computer [Lerchls Wort „Computerunterstützung“ ersetzt], kann [Adlkofer hat „können“ im Sinn von „ may-be“ und nicht wie „fähig sein“ gemeint, dieser Unterschied spielt eine Rolle für Lerchls Folgerungen weiter unten] ein erfahrener Auswerter exponierte Proben vor der mikroskopischen numerischen [Wort wieder eingefügt, um das Lerchl gekürzt hat; „numerisch“ ist wichtig, weil das die Auszählung ausdrückt] Auswertung erkennen. Es ist zwar klar, dass dies keinen positiven Effekt produzieren kann, wenn keiner da ist, dies kann aber in einer Abweichung [einzelner Zahlen] von statistisch kalkulierten und erwarteten Verteilungen resultieren [Lerchls seltsame Formulierung „dazu führen, dass die Abweichung von statistisch kalkulierten und erwarteten Verteilungen abweicht“ wurde ersetzt]. Obwohl dieser erste qualitative Eindruck zum Teil die Verblindung der Experimente aufheben kann, bedeutet sein Vorhandensein keinesfalls Datenfälschung [Lerchls Formulierung „aufhebt, ist er keinesfalls ein Beleg für Datenfälschung“ wurde ersetzt], sondern ist - ganz im Gegenteil - überzeugender Beleg [Lerchls hier unsachgemässe Übersetzung wurde durch das in diesem Zusammenhang zutreffenden Wort „Beweis“ ersetzt] Beweis dafür, dass der Effekt als solcher real ist."

Zur Kontrolle: Origialtext von Rüdiger/Adlkofer:

"The small variation in the reported data is below the theoretical lower limit and also lower than those derived from simulations. [Das war einer unserer Kritikpunkte, AL]. Correct, but here Lerchl et al. do not consider that all slides had been scored visually. Although the precision of visual scoring is equal to or even better than that of computer-based scoring [6], an experienced investigator may recognize exposed samples under the microscope before numerical evaluation. It is clear, however, that this cannot produce a positive effect when there is none, but may result in a deviation of individual numbers from a statistically calculated and expected distribution. Although this first qualitative impression may in part overrule the blinding of the experiments, its presence on the other
hand does not at all mean data fabrication but – just the opposite
– represents convincing evidence that the effect itself is real."

Lerchl folgerte dann:
So so, man sieht den Zellen (bzw. natürlich nicht den Zellen, sondern nur den Comets) also an, ob sie exponiert waren oder nicht. Interessant. Vor allem, weil dadurch auch die kleinsten Unterschiede (z.B. nach 4 Stunden Exposition oder bei geringen SAR-Werten) "offensichtlich" sind und sich daher eine genaue Zählung erübrigt (nur dadurch ist nämlich zu erklären, warum die Abweichungen kleiner sind als die theoretisch mindestens zu erwartenden Streuungen).Was die beiden (Rüdiger und Adlkofer) dazu getrieben hat, so etwas zu schreiben, ist unklar. Vielleicht wollten sie die Leser (und die Herausgeber) nur für dumm verkaufen.“

Rüdiger und Adlkofer haben nicht geschrieben, dass man den Comets ansieht, ob eine Befeldung vorangegangen ist. Sie haben sinngemäss geschrieben, dass wer solche Proben häufig genug ausgewertet hat, es sozusagen auf einen ersten Anblick sozusagen gefühlsmässig erkennt, ob mehr oder weniger ausgeprägte Comets sichtbar sind, und damit auch, ob die Zellen im der Probe insgesamt wohl eher verändert oder unverändert sind, bzw. ob sie befeldet wurden oder nicht.

Viele zählen die Biologie zu den exakten Wissenschaften, was aber nur teilweise zutrifft. Viele Dinge bzw. Zusammenhänge sind in der Biologie nur mit der Hilfe der Statistik einigermassen klar erkennbar. Wie in der Psychologie ist die Klassierung von Merkmalen der untersuchten Gegenstände eine Ermessensangelegenheit. Damit das Ermessen neutral und unbeeinflusst geschehe, werden die Experimente verblindet, d.h. derjenige, der die Auswertung macht, darf nicht wissen, ob die zu klassierenden Versuchsobjekte der Einflussgrösse ausgesetzt worden sind, oder ob sie zur Kontrollgruppe gehören, die nicht ausgesetzt wurde. Die Verblindung soll also verhindern, dass subjektive Gefühle die Beurteilung beeinflussen und verfälschen.

Rüdiger/Adlkofer drückten verständlich aus: Geübtsein im Klassieren kann (nicht muss, wie Lerchls Übersetzung suggeriert) die Verblindung aufheben, da der Geübte bereits durch den ersten Anblick das Resultat [oft] richtig raten kann, und dieses vor der Auszählung der einzelnen Comets. Wenn auf diese Weise die Behandlung der Zellen im vorangegangenen Experiment sozusagen „von Auge“ erkannt wird, dann bewirkt dieses die Aufhebung der Verblindung. Ist die Verblindung aufgehoben, dann bewirkt diese Aufhebung wiederum eine subjektive Haltung bei der Ermessenseinschätzung der Comets. Die aus diesem Grund subjektiv gefärbte Klassierung der Comets erfolgt dann unbewusst so, dass das Ermessen bei den befeldeten Proben ein anderes ist als bei den Kontrollen, und auch dass die Streuung eine viel geringere wird. Das mit dem zutreffenden Eindruck von der gesehenen Probe begründete Vorurteil führt zur Bestätigung des Vorurteils durch eine entsprechende Ermessenseinschätzung. Die befeldeten Proben werden dann auch unbewusst so eingeschätzt, dass sie sozusagen dem „Soll“ für befeldete Proben entsprechen, was die Variation stark reduziert. – Genau dieses haben Rüdiger/Adlkofer ausgedrückt, nämlich, dass der (richtige) subjektive erste Eindruck der Auswerterin von der Probe eine Entblindung bewirkt habe, die wiederum zu subjektiv gefärbter Ermessenseinschätzung der Comets geführt hat, die ihrerseits eine unnatürliche Annäherung an die „Soll“-Mittel-Werte für befeldete Proben führte.

Was macht nun Lerchl mit seiner fahrlässigen Übersetzung daraus?

Rüdiger/Adlkofer hätten behauptet, dass man den Zellen (mit Bestimmtheit) ansieht, ob sie befeldet sind. Und er konstruiert daraus, dass die Auswerterin darum auf die genaue Auszählung verzichtet habe.
Dass die unnatürliche Annäherung der Ergebnisse an einen „Sollwert“ auch unbewusst bzw. durch ein Ermessen, das vom (zutreffenden) subjektiven Eindruck beeinflusst ist, ablaufen könnte, zieht er nicht in Erwägung, sondern sieht gleich vorsätzlichen Betrug.

Zur praktischen Anwendung des Nutzens von Verblindung: Hätte Lerchl den Text verblindet, d.h. ohne Angabe der Autorschaft zur Übersetzung erhalten, dann hätte er wohl anders, nämlich sorgfältiger übersetzt. So hat er den Text aber in blinder Wut, mit einer subjektiven, negativ gestimmten Färbung übersetzt und hat zahlreiche Differenzierungen ausgelassen. Die oben in Fettdruck wieder eingefügten Auslassungen entsprechen blinden Flecken, die aus blinder Wut resultierten, nur weil die Vorlage nicht verblindet war. Die in der englischen Originalfassung differenzierte Argumentation erscheint nach Lerchls „Übersetzung“ als eine dümmlich-plumpe Behauptung seiner Lieblingsgegner.

Ich schreibe das hier – anders als „Sektor3“ in http://www.izgmf.de/scripts/forum/index.php?id=39057 behauptet – nicht als Verteidiger von Adlkofer, sondern weil mich ungenaue und verfälschende Übersetzungen ganz einfach ärgern. Genverändernde Effekte von Mobilfunkstrahlung sind auch gar nicht mein Interessengebiet, mich interessieren akute Effekt aller Arten von EMF.