In diesem Strang, der an den letzten Beitrag im Strang (3) zum allgemeinen Teil anschliesst, besprechen wir die durch Fragebögen bei den Patienten erhobenen Datensätze und ihre Aufbereitung sowie die Kommentierung durch die Autoren der Begleitstudie.
- Begleitstudie Seite 15: „In Anbetracht der kleinen Stichprobengrösse wurden die Daten in erster Linie deskriptiv analysiert. “
Kommentar: Die Zahl der vollständig ausgewerteten Patientenfragebögen war tatsächlich klein (siehe Darstellung auf Seite 17 der Begleitstudie):- Fragebogen vor 1. Konsultation: n=36
- Fragebögen zusätzlich nach 1. Konsultation: n=29
- Fragebögen 1 Jahr nach der 1. Konsultation: n=21
Deskriptive Statistik bedeutet die Aufbereitung in Tabellen und Grafiken, aber nicht die Auswertung von Zusammenhängen; von Wikipedia etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: "Die deskriptive Statistik verwendet keine stochastischen Modelle, so dass die dort getroffenen Aussagen nicht durch Fehlerwahrscheinlichkeiten abgesichert sind. Dies kann durch die Methoden der schließenden Statistik erfolgen, sofern die untersuchten Daten den dort unterstellten Modellannahmen genügen."
An die deskriptive Statistik schliesst die explorative an. Wieder gemäss Wikipedia: "Die explorative (erkundende) Statistik hat darüber hinaus zum Ziel, bisher unbekannte Strukturen und Zusammenhänge in den Daten zu finden und hierdurch neue Hypothesen zu generieren."
Die Hypothese der Begleitgruppe (und ihrer industriellen Auftraggeber) war offensichtlich, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen EMF und Symptomen gebe. Folglich gab sich die Begleitgruppe mit der Beschreibung der Resultate der Befragungen zufrieden, ohne ihr alternatives Erklärungsmodell näher zu begründen.
Wir aber werden nachfolgend die Resultate auch explorativ analysieren, d.h. prüfen, ob und wie sie die Hypothese, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen EMF und Symptomen gebe. Wir werden Interessantes finden ...
Wegen der wie erwähnt kleinen Stichprobengrösse, aber vor allem weil uns die Detaildaten für Auszählungen nach bestimmten Merkmalen fehlen, können wir nicht bis zur schliessenden Statistik kommen; zu dieser wiederumg Wikipedia: "Diese auf Stichprobendaten beruhenden Hypothesen können dann im Rahmen der schließenden Statistik mittels wahrscheinlichkeitstheoretischer Methoden auf ihre Allgemeingültigkeit untersucht werden."
Wir können hier nur schreiben, was man nach welche Merkmalen hätte auszählen können.
Voraussetzung für statistisch gesicherte Aussagen zum kausalen Zusammenhang zwischen EMF und Symptomen wäre also eine wesentlich grössere Anzahl Patienten, die von systematisch von wissenschaftlich interessierten Ärzten untersucht werden. - Begleitstudie: „Ein Teil der Fragen wurde aus anderen Studien übernommen und die Ergebnisse wurden dann jeweils mit den entsprechenden Gruppen verglichen. “
Kommentar: Bei Verwendung gleich lautender Fragen können die mit den Fragebögen ermittelten Häufigkeiten und Ausprägungen von Eigenschaften der Patienten mit anderen Patientenkollektiven und mit einem Bevölkerungsdurchschnitt verglichen werden. Wie alles, was im Prinzip gut ist, kann auch diese Methode missbraucht werden. Die Begleitstudie wurde denn auch prompt für diskriminierende und herabsetzende Aussagen in der Art von „Elektrosensible sind psychisch angeschlagen“ verwendet. - Begleitstudie Seite 18: „Die 185 Patienten, die sich bei der telefonischen Anlaufstelle meldeten [...] Im Durchschnitt betrug für Frau Dr. Steiner die mittlere Bearbeitungsdauer pro Person, die mit der telefonischen Anlaufstelle Kontakt aufnahm, 88 Minuten. “
[Kommentar]: Dieses bedeutet wohl 273 Stunden Bearbeitungsdauer, ein grosser Aufwand, der vermutlich nicht adäquat bzw. nicht zum vollen Arzttarif entschädigt wurde. Chapeau! - Begleitstudie: „72% der Patienten waren Frauen. “
Kommentar: Prima vista scheinen Frauen anfälliger auf EMF-Beschwerden zu sein. Gibt das Hinweise auf einen möglichen Wirkmechanismus? - Begleitstudie: „22% hatten einen Universitätsabschluss, 26% hatten einen Abschluss auf Maturitätsniveau oder eine höhere Berufsausbildung (z.B. Meisterdiplom, Fachhochschule)“
Kommentar: Angesichts der vergleichsweise niedrigen Maturanden- bzw. Abiturienten- und Hochschulquoten in der Schweiz deutet das auf wohl überdurchschnittliche Intelligenz der teilnehmenden Patienten. Ist es plausibel, dass sämtliche dieser Personen ausnahmslos irren, wenn sie zu Beeinträchtigungen bei Exposition zu EMF ebendiese EMF für die Ursache halten, wie die Autoren am Ende ihrer Studie sinngemäss urteilen werden? - Begleitstudie Seite 21: „[...] dabei wurden von 142 der Patienten (79%) hochfrequente elektromagnetische Strahlungsquellen genannt (z.B. Mobilfunkbasisstationen, Funktelefone) und bei 80 Anfragen (44%) niederfrequente elektromagnetische Quellen (z.B. Hochspannungsleitungen, [...]“
Kommentar: Hochspannungsleitungen strahlen nicht elektromagnetische Felder ab, sondern elektrische und magnetische ( http://www2.ifh.ee.ethz.ch/~pascal/Hochspann/ ). Bei einem solchen Umgang mit der Einflussgrösse kommt fast zwangsläufig der Gedanke auf, dass den Autoren die Einflussgrösse in Wirklichkeit egal war, wenn sie nur - den Erwartungen der Auftraggeber gemäss - ihr Vorurteil bekräftigen konnten, EMF seien harmlos. Der Übergang von elektrischen und magnetischen Feldern zu elektromagnetischen liegt bei circa 40 kHz. - Begleitstudie: „[...] elektrische Geräte) (Mehrfachnennungen möglich). “
Kommentar: Viele elektrische Geräte strahlen weit unter 40 kHz. War die begriffliche Unschärfe bei der Einflussgrösse ( viewtopic.php?p=58484#58484 ) in Gleichgültigkeit, Unfähigkeit oder Absicht begründet? Alle drei Varianten würden ein schlechtes Licht auf die Autoren werfen. Wenn möglicherweise Absicht zu Grunde lag, dann welche? Sollte davon abgelenkt werden, dass die Exposimeter nur hochfrequente elektromagnetische Felder erfassen konnten? ( http://www.mobile-research.ethz.ch/var/ ... t_2011.pdf Seite 12 Tabelle 1) Oder taten sie das, weil bei Hochfrequenz im Mikrowellenbereich der „Beweis“ der Nichtexistenz von biologischen Effekten unterhalb der thermisch bestimmten Grenzwerte viel einfacher darzustellen ist als bei niederfrequenten elektrischen und magnetischen Feldern? - Begleitstudie: “Am häufigsten wurden Schlafstörungen (41%) und Kopfschmerzen (23%) genannt (Abbildung 10). Bei den 163 Patienten, die ihre Symptome auf hoch- oder niederfrequente elektromagnetische Felder (EMF) [...]“
Kommentar: Sind mit niederfrequenten elektromagnetischen Feldern die niedrigsten dieser Art, ab circa 40 kHz gemeint, d.h. beispielsweise Sparlampen? Oder schliesst die Ausdrucksweise auch niederfrequente Felder ein, d.h. elektrische und magnetische Felder unter circa 40 kHz? Bei der Unschärfe der Begriffsverwendung durch die der Autoren erscheint alles möglich. - Begleitstudie:“ [...] zurückführten, war der Anteil an Personen mit Schlafstörungen sogar etwas höher (48%). Es wurde eine sehr breite Palette an Symptomen genannt, unter „andere Symptome“ wurden z.B. Augenentzündung, Epilepsie, Asthma oder Schmerzen an Händen und Füssen erwähnt. “
Kommentar: Hier hätte versucht werden können, Korrelationen bestimmter Feldquellen mit bestimmten Symptomen zu finden. Hier umfasste die Grundgesamtheit immerhin 155 Personen. Aber das interessierte die Autoren offenbar nicht. - Begleitstudie: „2 Personen (39%) nannten ausschliesslich hochfrequente Quellen (z.B. Mobilfunkantennen), 2 (7%) ausschliesslich niederfrequente Quellen (z.B. Eisenbahnlinien, Hochspannungsleitungen, elektrische Geräte) und 17 (55%) nieder- und hochfrequente Quellen“
Kommentar: Immerhin 62% nannten mindestens auch niederfrequente Feldquellen! Die Frage stellt sich hier nochmals und verschärft: Warum wurden nur Hochfrequenz-Exposimeter eingesetzt? - Begleitstudie Seite 23: „Um Aussagen über eine möglichst homogene Gruppe machen zu können, wird im Folgenden nur noch auf die 32 Patienten eingegangen, die ihre Beschwerden mit elektromagnetischen Feldern in Verbindung bringen.“
Kommentar: (Aus dem Zusammenhang müssen wir annehmen, dass die Autoren in ihrem Begriff „elektromagnetische Felder“ auch elektrische und magnetische Felder einschlossen.) Zu immerhin 31 EMF-Patienten lagen Fragebögen sowohl vom Patient und als auch vom Arzt vor. Das sind fast doppelt so viele als die 17, zu denen auch die zweiten Fragebogen retourniert wurden. Von den 31 bzw. 32 hätten auch Auswertungen erstellt werden können, welche die genannten Symptomen den wichtigsten EMF-Quellen zuordnen, und aus denen möglicherweise Anzeichen für Wirkungsketten erkennbar gewesen wären. Warum wurde das nicht getan? Das war zwar nicht das Ziel der Begleitstudie, es könnte aber die wissenschaftlich interessierten unter den Ärzten interessiert haben. Uns hätte es jedenfalls interessiert.